Am 2. Juni 2025 fand im „eleven – Café-Bar-Restaurant“ in der Kaiserfeldgasse in Graz eine besonders tiefgründige Veranstaltung im Rahmen des European Monday statt. Unter dem Titel eines europäischen Themenabends wurde die aktuelle Lage in der Ukraine beleuchtet – ein Thema, das angesichts der andauernden russischen Invasion im vierten Kriegsjahr nichts an Aktualität verloren hat.
Im Mittelpunkt des Abends stand die renommierte Juristin und Associate Professorin Olena Kharytonova, PhD. Zu Beginn der Veranstaltung wurde sie dem Publikum vorgestellt. Mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung, ihrer Tätigkeit als Beraterin des ukrainischen Bildungsministeriums sowie als Mitglied von GREVIO und Expertin für Menschenrechte, brachte sie umfassendes Fachwissen und eine persönliche Perspektive auf die dramatischen Entwicklungen in ihrem Heimatland mit.
Die Veranstaltung fand in englischer Sprache statt und bot den Teilnehmer:innen nicht nur die Gelegenheit zur sprachlichen Weiterbildung, sondern vor allem zur vertieften Auseinandersetzung mit der Thematik. Besprochen wurden die wichtigsten Ereignisse der letzten drei Jahre, darunter die Eskalation des Konflikts in den Regionen Donezk und Luhansk, die inneren Spannungen zwischen West- und Ostukraine sowie die schwerwiegenden Auswirkungen des Krieges auf die ukrainische Bevölkerung.
Ein zentrales Thema bildeten die russischen Kriegsverbrechen und deren juristische wie moralische Aufarbeitung. Zudem wurden internationale Reaktionen und geopolitische Entwicklungen thematisiert – insbesondere die Rollen der USA, der EU und Russlands im weiteren Verlauf des Krieges.
Besonders eindrücklich war die persönliche Note der Veranstaltung. Kharytonova sprach nicht nur als Expertin, sondern auch als betroffene Lehrende. Sie zeigte Fotos von ehemaligen Schülern und Studierenden, die entweder bei russischen Angriffen ums Leben kamen oder an der Front gefallen sind. Diese bewegenden Momente ließen niemanden unberührt. Es fiel ihr sichtlich schwer, darüber zu sprechen – und sie war nicht die Einzige, der die Tränen kamen. Auch im Publikum wurden Gäste emotional und reagierten betroffen auf die persönliche Tragik, die der Krieg für so viele Menschen bedeutet.
Ein weiterer zentraler Aspekt des Abends war der historische Rückblick auf die Ukraine in der Zeit der Sowjetunion. Kharytonova thematisierte das Leben unter sowjetischer Herrschaft und die langfristigen gesellschaftlichen und politischen Folgen dieser Vergangenheit. Dabei wurde deutlich, wie stark das sowjetische Erbe bis heute nachwirkt – sei es in Form tiefsitzender Traumata, autoritärer Strukturen oder eines kollektiven Bewusstseins, das noch immer mit der Frage kämpft, was nationale Identität im postimperialen Kontext bedeutet. Auch dieser Teil des Vortrags wurde mit persönlichen Erinnerungen unterlegt, die ein eindrückliches Bild vom Alltag, aber auch vom Widerstand und Überlebenswillen der Menschen in der damaligen Ukraine zeichneten.
Was diese Veranstaltung zusätzlich prägte, war ihre philosophische Tiefe. Immer wieder verwies Kharytonova auf symbolische und existenzielle Dimensionen des Konflikts. In einer eindrücklichen Allegorie verglich sie die heutige Ukraine mit dem berühmten philosophischen Rätsel des „Schiffs von Theseus“: Ist die Ukraine noch dieselbe Nation, wenn so viele Teile ihrer Gesellschaft zerstört, ersetzt oder verändert wurden? Diese Fragestellung führte zu nachdenklichen Momenten und regte zu einer tiefergehenden Reflexion über Identität, Wandel und Kontinuität in Zeiten des Krieges an.
Abschließend war die Veranstaltung nicht nur eine Informationsquelle, sondern auch ein Raum für kritisches Denken, historisches Bewusstsein, persönliches Mitfühlen und ein Versuch, die Komplexität der ukrainischen Realität philosophisch zu erfassen. Der European Monday bewies an diesem Abend, dass politische Bildung, individuelle Geschichten und philosophische Reflexion auf berührende und eindringliche Weise miteinander verwoben sein können.
This project is co-funded by Erasmus+ and Land Steiermark.
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